BUND Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland


Bericht der SÜDWESTPRESSE über unseren Vortrag:

Das schnelle Sterben der vielen Arten

Umwelt Der Wissenschaftler Prof. Josef Reichholf sieht für den Verlust der Vielfalt vor allem die Landwirtschaft in der Verantwortung – aber nicht nur.

Von Christina Kirsch

Ausgerechnet in der Stadt finden bedrohte Tierarten Zuflucht, meint der Zoologe Prof. Josef Reichholf. Auch Flugplätze seien solche Rückzugsorte. „Wenn ich meinen Besuchern eine Feldlerche zeigen will, dann muss ich in Bayern an den Münchner Flughafen“, sagte Reichholf kürzlich in der Blaubeurer Stadthalle und fügte vor mehr als 100 Zuhörern hinzu: „Allerdings ist es dort schwierig, dem Gesang zu lauschen.“ Städte gelten dem Biologen zufolge mittlerweile als artenreicher als manche Feldfluren. Ausgerechnet in Berlin seien die meisten Nachtigallen zu hören. Reichholf, seit 1985 Honorarprofessor an der Technischen Universität München, war auf Einladung der BUND-Gruppen Berghülen, Blaubeuren, Blaustein und Laichingen in die Stadthalle gekommen. Sein Thema: Niedergang der Insekten – was können wir tun? Reichholf führte die Krefeld-Studie an, die eine Abnahme der Insekten-Biomasse seit 1989 um 76 Prozent festgestellt habe.

Gängiger Kritikpunkt an dieser Studie sei die Tatsache, dass an verschiedenen Stellen gemessen wurde. „Aber alle Stellen lagen in Naturschutzgebieten“, sagte der Referent. Reichholf selbst kann ebenfalls einen dramatischen Rückgang der Insekten belegen. Als Ursache sieht der 74-Jährige, der Biologie, Chemie und Geografie studiert und über Wasserschmetterlinge promoviert hat, den Strukturwandel in der Landschaft in Verbindung mit der Überdüngung der Böden. N, das chemische Zeichen für Stickstoff, sei zum „Erstick-Stoff“ für die Artenvielfalt geworden. Der Einsatz von Pflanzengiften wie Glyphosatz leiste ein Übriges. Den Anfang des Artenstrebens sieht der Wissenschaftler schon in den Flurbereinigungen der 1970er Jahre. Um die Flächen maschinengerechter bewirtschaften zu können, verschwanden vereinzelt stehende Büsche, Hecken und Baumgruppen. Dort lebende Insekten verloren zusehends ihren Lebensraum. Hinzu kam die Überdüngung der Böden. „Stickstoff kommt über die Luft sogar in Naturschutzgebiete und führt dort zu einer Vegetationsverdichtung“, erläuterte Josef Reichholf.

Magere Böden werden immer seltener. Auch die subventionierte Viehhaltung sieht der Referent als großes Problem. „310 Millionen Liter Gülle fallen in Deutschland im Jahr an“, sagte er. Wohin damit? Gülle lande auf den Böden. Das habe zur Folge, dass stickstoffliebende Pflanzen wie Löwenzahn und Brennnessel üppig gedeihen. Schmetterlinge wie der Kaisermantel und der Schillerfalter, die andere Lebensbedingungen brauchen, nehmen ab, „aber die Population der Brennnesselfalter ist nicht rückläufig“. Der Rückgang der Insekten betrifft sowohl die Häufigkeit als auch das Artenspektrum. „Wir haben im Vergleich zu den 70er Jahren nur noch halb so viele Arten und nur noch ein Viertel der Menge“, bilanzierte der Wissenschaftler, der nicht nur die Landwirte, sondern auch die Kommunen in die Pflicht nahm. Waldwege, die rechts und links gemäht werden, reduzierten die blühende Pflanzenwelt ebenso wie „abrasierte Dämme“. In dieser Hinsicht finde bei den Kommunen ein Umdenken statt, sagte Reichholf. Er sprach sich zudem dafür aus, dass die Naturschützer die Zusammenarbeit mit den Landwirten suchen. Die Landwirtschaft habe sich vom Export abhängig gemacht, bedauerte Reichholf, es werde zu viel produziert. Um das Artensterben doch noch zu stoppen, sei aber jeder in der Pflicht, appellierte Reichholf ans Publikum. Zum Beispiel auch die Besitzer von Hausgärten.

Mitbegründer der „Gruppe Ökologie“ Keimzelle „Der Mensch ist ein Teil der Natur, von der er lebt. Der Mensch kann nicht gegen die Natur leben, er muss sich ihr anpassen, wie alle anderen Lebewesen auch.“ So beginnt das „Ökologische Manifest“, das der Zoologe Konrad Lorenz (1903-1989) als Sprecher der „Gruppe Ökologie“ verfasst hatte. Der Anfang der 1970er Jahre gegründeten Gruppe gehörten auch Bernhard Grzimek, Horst Stern, Hubert Weinzierl und Josef Reichholf an. Die „Gruppe Ökologie“ gilt Keimzelle des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

15.10.2019         © SÜDWESTPRESSE

Der Artikel wurde uns freundlicherweise von der Südwestpresse zur Verfügung gestellt.

Fotos von Michael C. Thumm, Blaubeuren
Quelle: http://www.bund-laichingen.de/presse/niedergang_der_insekten_was_koennen_wir_tun/